Reaktion von Bischof Overbeck auf die Aktion Klagemauer

„Sehr geehrte Mitglieder des Pfarrgemeinderates der Pfarrei St. Peter und Paul in Hattingen, sehr geehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer der „Aktion Klagemauer“, schreibt unser Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck in einem Brief, der jetzt das Pfarrbüro erreicht hat, und weiter:

„In der vergangenen Woche konnte ich anlässlich der ,Aktion Klagemauer‘ ein Gespräch mit Herrn Pfarrer Andreas Lamm und der Pfarrgemeinderatsvorsitzenden Frau Marlies Meier führen, in dem beide mich über die Beweggründe informiert haben, dieses besondere Format des Dialogs zu initiieren.
Im Rahmen unseres gemeinsamen Austauschs wurden mir auch über 120 Rückmeldungen überreicht.

Ich bin Ihnen und allen weiteren Beteiligten für diese wichtigen Perspektiven sehr dankbar.
In den vielen aufrichtigen und persönlichen Beiträgen spiegelt sich die tiefe Überzeugung wider, dass Sie alle trotz des Abgrunds, in den die Kirche geraten ist, mit Ihren Zweifeln und Sorgen aktiv an den so notwendigen Veränderungen mitwirken wollen. Damit ist ein klares Signal der Wertschätzung verbunden: Als Christinnen und Christen bringen Sie die Bereitschaft mit, gemeinsam die nächsten Schritte in die Zukunft zu wagen.

Zu einem sehr großen Teil werden in den Rückmeldungen der Skandal des sexuellen Missbrauchs und damit das schreckliche Leid thematisiert, das Kindern und Jugendlichen durch Kleriker zugefügt worden ist.
Es ist unfassbar, wie viele Lebensgeschichten dadurch schwer beeinträchtigt oder sogar zerstört wurden.
Eine eigene Studie zum sexuellen Missbrauch in der Geschichte des Ruhrbistums wird im Laufe dieses Jahres wahrscheinlich auch zeigen, dass es bei uns ähnlich war wie anderswo: Unter dem Deckmantel von Religion und Glaube sind Verbrechen geschehen. Aber für die Opfer, die Betroffenen der sexualisierten Gewalt, interessierte sich niemand.
Alles drehte sich um den Schutz der Kirche und ihrer übergriffigen Priester. Das Ausmaß der Verbrechen habe ich mir bis 2010 nicht vorstellen können.
Vor allem die Begegnungen mit den Betroffenen sexualisierter Gewalt haben mir die Augen geöffnet.
Die Verbrechen haben zu tun mit grundsätzlichen Missständen in der katholischen Kirche. Dem können wir nur noch echte Veränderung und Erneuerung entgegensetzen.

Andere Rückmeldungen bringen ins Wort, dass wir als Kirche in der Gegenwart dringend eine Haltung brauchen, die die Wirklichkeit ernst nimmt.
Damit verbunden sind verantwortbare und notwendige Reformen. Als Bischof und Leiter des Forums „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“ setze ich mich dafür entschieden beim „Synodalen Weg“ der Kirche in Deutschland ein.
Der „Synodale Weg“ ist der Rahmen, in dem Veränderungen in der Verteilung von Macht, der Frage nach dem Zölibat, dem Zugang von Frauen zu kirchlichen Ämtern und Leitungspositionen und einer zeitgemäßen Sexualmoral gestaltet und ermöglicht werden können – gemeinsam mit vielen Frauen und Männern, die für Erneuerung eintreten.

Darüber hinaus ist deutlich geworden, wie bedeutsam für viele Ihrer Gemeindemitglieder vor Ort Perspektiven und Ressourcen sind, die die gelebte Ökumene weiter pflegen und stärken können. Auch alle Fragen, die sich u.a. angesichts der immer noch andauernden Corona-Pandemie sehr konstruktiv mit der Zukunft der Seelsorge beschäftigen, tragen dazu bei, dass die Rückmeldungen zusammen ein sehr ehrliches und realistisches Bild der Situation zeichnen, in der wir uns gegenwärtig befinden.

Der Unmut von so vielen Gläubigen, die sich in diesen Jahren entsetzt und enttäuscht von unserer Kirche abwenden, hat zahlreiche Gründe, die ich sehr ernst nehme.
Vieles davon wird in der ,Aktion Klagemauer‘ deutlich. Die Geschichte der Tradition, in der wir stehen und unseren Glauben leben, zeigt uns aber: Es gibt Erkenntniszuwachs, und Veränderungen sind möglich – auch in der Glaubenslehre und Rechtsordnung unserer Kirche. Als Institution und Glaubensgemeinschaft muss sie sich immer wieder auf neue Herausforderungen einstellen. Was sie jeweils bedeuten, lässt sich nur gemeinsam erkunden und bestimmen.

Gerne möchte ich Sie einladen und ermutigen, diesen Weg mit mir weiter zu gehen und danke Ihnen sehr für ihr Vertrauen!
Mit herzlichen Grüßen und allen Segenswünschen
Ihr Franz-Josef Overbeck.

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